Skifahren
Bei so viel Aussicht auf Großes nimmt es kein Wunder, dass sie sich in Zurückhaltung übt und das Understatement verinnerlicht hat. Da gehört es beinahe zum Programm, dass ihr Namensgeber ein unbedeutender Nebengipfel ist und sie bloß eine Untergruppe bildet im österreichischen Gebirgszugskatalog.
Was bedeutet, dass sie sich dort eine Lade teilen muss mit Randerscheinungen wie dem Höllengebirge, den Mondseer Flyschbergen oder dem Schafbergmassiv. So bin auch ich jahrelang an ihr vorbeigefahren, weil ich dachte, dass im Vorgebirge alles nur Vorspiel sein kann und die Erfüllung warten muss. Falsch gedacht. Doch wer versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, wird schnell stutzig. Denn mangels topographischer Markanz kann es passieren, dass bereits einfache Fragen der Zuordnung in Grundsatzdiskussionen münden.
Da ist von Salzburger Angelegenheiten die Rede; oder von OsterhornSkidurchquerungen, die nach läppischen 9 Stunden auf der Postalm enden und so tun, als ob östlich von ihr die Welt zu Ende ist. Wo doch das Gamsfeld mit seinen 2028 Metern der einzige Gipfel ist, der das wellige Rauf und Runter entlang der 1.700er Marke am Ende noch einmal durchbricht und für einen würdigen Abschluss sorgt. Um solche Diskussionen schon im Keim zu ersticken, definieren wir das Gebiet zwischen Lammertal und Wolfgangsee mit den Grenzorten Russbach, Abtenau, Golling, Salzburg, Strobl und Ischl als das Kleinod, von dem hier die Rede ist.
Eine wunderbare Mischung aus Almen, Wiesenhängen, Graten und Waldschneisen, die auf gut 100 Quadratkilometern so ziemlich alles bietet, was das Skitourenherz begehrt – von sanft bis wild, von waldig bis felsdurchsetzt, von einfach bis anspruchsvoll, von abgeweht bis überwechtet; einsamste Winkel wie die wilde Kammer, Dauerbrenner wie den Zinken, kulinarische Pilgerstätten wie die Rinnbergalm, kanadisch anmutende Talsohlen wie den Ackersbach, erhabene Aussichtsplatzerln wie das Hochwiesköpfl, rassige Gipfelrunden wie die vom Regenspitz über das Gruberhorn auf das Gennerhorn und dazwischen mit der Postalm Österreichs größtes zusammenhängendes Almgebiet und Schneeschuheldorado. Kanadisch? „Ja, kanadisch“, so mein Freund, der zwar niemals in Kanada war, die Alpen jedoch wie seine Westentasche kennt.
„Das Spannende an dieser Gegend ist die Nähe zur Stadt und ihre Kleinteiligkeit, die es mit sich bringt, dass man schnell draußen ist und oft zwei Spitzkehren oder eine Schneise weiter vollkommen allein sein kann, wenn man allein sein will.“ Seine Augen funkeln, während er die Vorzüge aufzählt und dabei mehr als zehn Finger braucht: „Ein Paradegebiet für den Hochwinter, wenn weiter oben noch nichts oder schon lange nichts mehr geht. Aber ernst nehmen muss man die Touren trotzdem. Zumal der Lawinenlagebericht gerade hier mitunter trügerisch sein kann, weil er Höhenlagen zwischen 1400 und 1600 Metern oft außen vor lässt.“ Dass da im Gipfelbereich des Auhofköpfl (1480) ein ganzer Hang in der Tiefe verschwindet, mit einer Anrisshöhe von mehr als einem Meter, ist nicht vorgesehen. Aber es passiert – weil das durchwegs als sanft zu bezeichnende Gelände, immer wieder mit Flanken überrascht, „wo man schon ein paar Mal stehenbleiben muss, um die Lunge neu zu füllen.“
Kein Wort darüber, dass diese Flanken nicht nur lange, sondern oft wirklich steil und nordseitig sind. Auch mein Freund liebt das Understatement. Vielleicht erklärt das ja seine intime Beziehung zu diesem Gebirge. Ja: Gebirge! Und ja: Kanada. Ein kleines Kanada halt, ohne Wölfe und Bären – soweit bekannt – und ohne die großen Gipfel. Ein Kanada, dem es etwas an Selbstbewusstsein mangelt. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass die Gipfelkreuze oft nicht am höchsten Punkt stehen, sondern irgendwie verschämt etwas abseits? „Zu lange unter eiszeitlichen Gletschern gelegen“ lautet der gebirgspsychologische Befund. Dabei kann man hier so gut wie kaum anderswo, Gipfel und Grate nach Lust, Laune und Exposition zu wunderbaren Runden kombinieren und dabei voll auf seine Rechnung kommen. Vorausgesetzt, man begreift das An- und Abfellen nicht als etwas Nerviges, sondern als Einladung, das Hetzen sein zu lassen und einfach den Winter zu genießen. Den namenlosen. Den scheuen. Der dort wartet, wo wir zur Ruhe kommen.